Beste Freunde

by Theos

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Die sonderbare Freundschaft zwischen den Unbehaarten und den Behaarten war bereits vor vielen tausend Jahren entstanden. Damals waren die Unbehaarten noch im Kreis um Feuerstellen herumgesessen und hatten andere Lebensformen des Planeten an Spießen gegrillt und dann aufgefressen.

Die Behaarten, die damals noch Feinde der Unbehaarten waren, sträunten derweil heulend in der Nähe der Feuerstelle herum und überlegten, wie sie auch etwas von dem wohlriechenden Fleisch erbeuten könnten. Im Laufe der Zeit aber stellten die Unbehaarten fest, dass die Behaarten sich als äußerst dankbar erwiesen, wenn man ihnen freiwillig die Reste des Essens servierte. Denn die Behaarten zeigten sich für solche Zuwendungen erkenntlich durch treue Gefolgschaft und Schutz vor gemeinsamen Feinden. So wurden die beiden Gruppen im Laufe der Zeit zu engen und schließlich besten Freunden. Als später die Unbehaarten immer mehr selbst in der Lage waren, sich vor ihren Feinden zu schützen, gingen sie dazu über, die nunmehr überflüssig gewordenen behaarten Freunde als possierliche Zierdeobjekte, Spielkameraden und manchmal auch imaginäre Gesprächspartner einzusetzen. Obwohl ihre Zivilisation sich in rasendem Tempo fortentwickelte, wollten sie nicht von ihren behaarten Freunden ablassen und zwangen diese deshalb, die Entwicklung mitzumachen. Die Behaarten hatten allerdings keinerlei Ahnung, in welch veränderter Welt sie eigentlich lebten…..

Auch wenn die Freundschaft insofern also auf einer anderen Ebene fortgeführt wurde, war eines mehr denn je klar: Die Chefs waren die Unbehaarten! Meistens hatten sie zwar selbst nur eine sehr begrenzte Vernunftbegabung – aber im Gegensatz zu den Haarigen, deren Leben sie verwalteten, hatten sie immerhin das Bewußtsein, dass sie existierten. Das fehlte den Behaarten: Sie schienen sich in der Tat nicht darüber im Klaren zu sein, daß sie überhaupt da waren – geschweige denn wer sie waren! Erst auf ein langes Üben hin hatten sie irgendwann einmal gelernt, daß es sehr opportun sein konnte, aufmerksam zu werden, wenn ein bestimmter Klang ertönte, etwa „Hasso“ oder „Rex“ oder auch „Waldi“. Aber daß dieser Klang gleichgesetzt werden sollte mit ihnen selbst und daß sie aus Haaren und noch einigem anderen organischen Wirrwarr bestanden, das zu verstehen schien ihnen gänzlich fernzuliegen! Deshalb: So putzig diese Haarigen auch in der Gegend herumeilten, an alle möglichen Stellen in aller Öffentlichkeit urinierten, sich an den Genitalien berochen oder auch sich um irgendeines nicht nachvollziehbaren Anlasses willen mit aller Macht gegenseitig bissen, ja, so schön und geradezu ästhetisch das alles auch anzusehen war – die eigentlichen Stars waren doch die anderen, die Unbehaarten:

Das Außerordentliche an ihnen war, daß sie dachten, sie hätten Recht! Es hatte dies seine Ursache darin, daß sie zwar im Gegensatz zu den Haarigen durchaus wußten, daß sie existierten und wer sie waren, andererseits aber noch lange nicht in der Lage waren, sich selbst als Teil eines Ganzen zu erkennen und sich in dieses einzufügen. Im Gegenteil bestand eine ihrer Hauptbeschäftigungen darin, immer wieder mit aller Macht und Gewalt klarstellen zu müssen, daß sie eben nicht Teil eines Ganzen waren, um jeden Preis beweisen zu müssen, daß sie ganz und gar einmalig und unersetzlich seien! Der Grund dafür war, daß sie größte Angst davor hatten, ansonsten ihre Individualität zu verlieren: Denn da sie ja kein Ganzes sahen, dessen Teil sie verkörperten, erschien ihnen notwendigerweise das eigene Ich als das Größte, was es gab – und so mußte es ständig betätigt und gepflegt werden, um dadurch die Gewißheit zu erlangen, daß dieses Größte noch bestünde und somit alles in Ordnung sei! Ihre ganze Erfahrungswelt bestand aus diesem Ich, und ständig waren sie ganz und gar mit sich selbst beschäftigt…..

Mit einer ihrer auffälligsten Angewohnheiten, nämlich alles, auch ihre Gefühle, in Zahlen umzuwandeln und damit der Vergleichbarkeit zugänglich zu machen, bezogen die meisten von ihnen die Bestätigung ihrer Individualität dadurch, daß sie möglichst viele „Geld“ genannte Machteinheiten auf sich vereinten. Diejenigen, die genügend solcher Machteinheiten angehäuft hatten, konnten dann ihre Individualität in der phantastischsten Weise ausleben, die der „Freiheit“ genannten Willkür keine Grenzen mehr setzte: Nicht nur, daß alles, womit sie in Berührung kamen, rein tatsächlich von ihnen in Besitz genommen wurde – sie betrachteten es in einer schier unglaublichen Vermessenheit auch stets als ihr Eigentum. Dieses gaben sie dann – im Gegensatz zu den Haarigen, die nach einigem Gerangel durchaus Hemmungen hatten, um den eigenen Besitz ernsthaft zu kämpfen – um keinen Preis mehr her. Praktisch alles, was auf dem Planeten existierte, konnte man im System der Unbehaarten gegen Geld in sein Eigentum überführen und seine Willkür dann diesbezüglich walten lassen. So war es eine der häufigsten Verhaltensweisen, daß die männlichen Vertreter der Species sich für Geldsummen, für die an anderen Orten des Planeten ganze Kolonien hätten versorgt werden können, kleine rote Transportvehikel kauften. Mit denen umkreisten sie umworbene weibliche Vertreter so lange, bis einige von diesen sich ebenfalls in die Gefährte begaben, gelockt durch die Verheissung eines unglaublichen Machtzuwachses, für den die Vehikel symbolisch standen. Nicht selten setzten dann die Männchen in der Meinung, auch die Weibchen nunmehr in ihr Eigentum überführt zu haben, die Gefährte in einer Weise in Bewegung, die dazu führte, daß alle, Männchen, Weibchen und das Vehikel im Wert der Zukunft einer ganzen Kolonie, an hölzernen Daseinsformen, die scheinbar völlig nichtsnutzig ihr Leben lang am Wegesrand herumlungerten, zerschellten. Als ganze Species entwickelten sie ein System, in dem es das Ziel jedes Tätigwerdens war, die eigene Willkürfähigkeit durch Geldgewinn auf Kosten der Willkürfähigkeit anderer ständig zu erweitern. Das hatte zur Folge, daß diejenigen, die bei diesen Kämpfen um das Geld unterlagen, sich mit ihrer Minderwertigkeit abfinden mußten; denn so unfähig waren alle zu teilen, daß sie selbst wenn sie soviel Geld hatten, daß sie es beim besten Willen nicht mehr in ihrer Willkürbetätigung verbrauchen konnten, lieber weiter darin fortfuhren, Geld aufzuhäufen und Zahlen sich vergrößern zu sehen, als auch nur einen annehmbaren Teil des nicht gebrauchten Geldes denen zukommen zu lassen, die nicht einmal wußten, wie sie den nächsten Tag überleben sollten.

Selbstverständlich gehörten auch die Behaarten dem System der grenzenlosen Standardisierung an, das die Unbehaarten lebten, waren Teil von Eigentum, Willkür und Geld, wobei sie aber nur einen unfassbar lächerlich kleinen Wert darstellten, sodaß selbst einige tausend von ihnen nicht genügt hätten, um damit eines der besagten kleinen roten Vehikel zu erwerben. Ungeachtet dessen nannten die Unbehaarten die Behaarten ihre „besten Freunde“. Diese besten Freunde waren also auch Teil des Systems von Eigentum, was nichts anderes bedeutete, als dass jeder Behaarte einem Unbehaarten zugeordnet werden musste, in dessen Eigentum er sich dann angeblich befand. Um dieses Eigentum an „seinem“ Behaarten auszuüben musste der Unbehaarte eine Vielzahl von Vorschriften erfüllen, damit der Behaarte den anderen Unbehaarten nicht allzu sehr im Wege umging. Man ging also nicht etwa davon aus, dass die Existenz des Haarigen eine begrüßenswerte Selbstverständlichkeit war, ein natürlicher Zustand – sondern der Haarige wurde im System der Unbehaarten letztlich als eine Störung der Willkürsphäre anderer Unbehaarter eingestuft. Deshalb muste sein Dasein durch Steuern, Anmeldungen, Versicherungen und Haftungsfragen abgesichert sein, bevor er auch nur zum ersten Mal seine Pfote vor die Haustür der Einzimmerwohnung im achten Stock setzen durfte, in der er mit seinem Eigentümer vielleicht „wohnte“.

Die Haarigen hatten davon nicht die geringste Ahnung, sie liefen vielmehr bestens gelaunt und die ganze Zeit fröhlich vor sich hin lachend durch die Schluchten aus Beton, die die Unbehaarten gebaut hatten, und nahmen alles so hin, als sei es schon immer so gewesen. Darum verrichteten sie, einer alten Tradition ihrer Art folgend, auch ihr Geschäft an allen möglichen Stellen, die nun aber wiederum im System der Unbehaarten überhaupt nicht dafür vorgesehen waren. Dieses Verhalten der Haarigen wurde deshalb in der Gesellschaft der Unbehaarten zu einem der vielen Probleme, die sie mit kompliziertesten Regeln lösten. Danach dachten die Unbehaarten zwar immer, es sei alles besser, denn alle strittigen Fragen seien durch die Regeln geklärt; sie bemerkten aber nicht, dass die vielen Regeln ihnen die Freude am Leben nahmen. Am Ende wurde ihre ganze Gesellschaft von den Leuten bestimmt, die am streitsüchtigsten waren und deshalb alles geregelt sehen wollten. Wenn nämlich nun ein Behaarter ein Geschäft verrichtete an einem Ort, der der kollektiven Willkürsphäre der Unbehaarten oder der Willkürsphäre einzelner Unbehaarter zuzurechnen war, so musste sein Eigentümer die Exkremente einsammeln und mit nach Hause nehmen. Wurde dies unterlassen, dann regten sich die Unbehaarten darüber so auf, als hätten der betreffende Haarige und auch sein Eigentümer gegen alle überlieferten Traditionen und alten Bräuche verstoßen und einen natürlichen Urzustand verletzt. Dabei war doch eigentlich nur das passiert, was vorher Millionen Jahre lang eine Selbstverständlichkeit gewesen war.

Auch in vielen anderen Bereichen mussten die Haarigen den Vorschriften der Unbehaarten folgen und an den kompliziertesten Regelungen teilnehmen, um an der Seite ihres Unbehaarten, dem sie eisern die Treue hielten, bleiben zu dürfen. Wenn beispielsweise ein Unbehaarter eine Flugreise unternehmen wollte, dann stellte sich natürlich die Frage, wie sein Haariger ebenfalls mitfliegen könne. Deshalb, während der Haarige fröhlich lächelnd und nichtsahnend danebenstand und sich wunderte, was denn sein Eigentümer da wieder mache und plane, sprach dieser in aller Seelenruhe mit einem anderen Unbehaarten darüber, in welche Kiste man seinen „besten Freund“ denn packen solle, damit er im Frachtraum nicht zu sehr herumgeschleudert würde. Dabei wurden die Haarigen nach Gewicht bewertet, das heißt wenn sie ein gewisses Mindestgewicht überschritten, dann wurden sie als Fracht eingestuft, wenn nicht, dann durften sie als Handgepäck bezeichnet werden. Darum wurde der überraschte Haarige vielleicht von den beiden Unbehaarten, seinem Eigentümer und einem Angestellten der Fluggesellschaft, plötzlich eingehend gemustert, hochgehoben oder auch gleich auf eine Gepäckwaage gestellt. Dann packte man ihn in die passende Kiste und verstaute ihn zusammen mit den anderen Sachen des Unbehaarten. Der Haarige hatte aber von all dem überhaupt keine Ahnung und wusste nicht einmal, dass er gerade rund um den Globus gekarrt wurde. Er wunderte sich vielleicht nur beim Aussteigen, warum es plötzlich so wahnsinnig heiß war. Dann ignorierte er dies und ging seinen gewohnten Tätigkeiten nach als hätte er es nie an einem anderen Ort getan. Hauptsache, sein Unbehaarter war wieder bei ihm, alles andere war dem Behaarten egal.

Besonders gemein war es von den Unbehaarten, wie sie mit dem Geschlechtsleben ihrer besten Freunde, der Haarigen, umgingen: Da alle Lebewesen von der Natur her dazu getrieben wurden, sich gegenseitig zu bespringen und zu kopulieren, wäre dies natürlich auch einer der dringendsten Wünsche beinahe jedes Haarigen gewesen. Aber wann immer er einen Versuch dazu unternahm, wurde er von seinem Unbehaarten mittels einer langen Schnur aus Leder, an der man ihn festgebunden hatte, gezogen und zurückgehalten. Dann nahm der Unbehaarte meistens mit seinem Behaarten Ausreiss, ihn hinter sich herziehend und von seinem Geschlechtspartner entfernend, auf dass es nicht zu einem weiteren Kopulationsversuch komme. Dabei dachten die Unbehaarten nicht einen Moment lang daran, wie sie selbst sich fühlen würden, wenn man das Gleiche mit ihnen tun würde: Wenn man sie, nachdem sie mühevoll und mit aller Energie endlich einen Erfolg beim anderen Geschlecht erzielt hätten und sich gerade daran machen wollten, die Früchte der eigenen Anstrengungen zu ernten und den Partner zu besteigen, mit einer langen Schnur plötzlich und unvermittelt zurückziehen würde und dazu zwingen, dem geliebten Partner für immer Lebewohl zu sagen.
Die Unbehaarten ihrerseits dagegen bestiegen sich, sobald sie in ihren Häusern verschwunden waren, gegenseitig so derbe und ausgiebig, dass es jeder Beschreibung spottet! Ja im System der Unbehaarten gab es sogar eine ganze Industrie, die sich ausschließlich mit den verschiedensten Varianten des Geschlechtstriebes beschäftigte, diese hochauflösend filmte und wiedergab, wechselnde Partner dafür vermittelte und dafür sorgte, dass die Unbehaarten irgendwann im Laufe ihres Lebens ihr Kinderspielzeug gegen anderes, delikateres Spielzeug eintauschten. Dennoch konnten sie es nicht mitansehen, wie ihre besten Freunde, die Behaarten, sich mit dem primitiven Versuch abmühten, auf den Rücken ihrer Partner zu springen, und brachten den Haarigen deshalb bei, dass dies höchst unanständig und verboten sei. Wären die Haarigen nicht so extrem gutmütig gewesen und hätten sie sich diese Behandlung überhaupt merken können oder ihre Hintergründe verstanden, dann hätten sie sie bestimmt sehr übel genommen…….

Die Geringschätzung, die die Unbehaarten ihren „besten Freunden“ im Grunde genommen entgegenbrachten, zeigte sich auch bei vielen anderen Themen: Wenn zum Beispiel einer der Behaarten für seinen besten Freund, seinen Unbehaarten, sein Leben riskierte, dann erhielt er dafür lediglich einen Klaps auf den Rücken und ein Stück Wurst. Im Sprachgebrauch der Unbehaarten galt es als eine niveaulose Beleidigung, wenn man einen anderen Unbehaarten mit einem Behaarten gleichsetzte. Und im Rechtssystem der Unbehaarten wurden die Haarigen, ebenso wie alle anderen Wesen bis auf die Unbehaarten selbst, als Sache behandelt, also der unbelebten Materie gleichgestellt. Das hatte wiederum seinen Grund darin, dass auf diese Weise es besonders einfach war, die Haarigen und auch alle anderen Lebewesen in das Geldsystem der Unbehaarten zu integrieren. Man rechnete sie genau wie die unbelebte Materie einfach in Geld um und wusste dann genau, wie ein Haariger mathematisch mit einem Stück Holz verglichen und getauscht werden konnte……

Die Unbehaarten hatten also ein wunderbares Geldsystem geschaffen, mit dessen Hilfe sie alles, nicht nur Produkte, die sie erschaffen hatten, sondern auch so genannte Dienstleistungen, also Verhaltensweisen, und sogar die persönlichsten und wichtigsten Situationen im Leben eintauschen konnten gegen Geld, mit dem man dann andere Unbehaarte dazu bringen konnte, dass diese dem eigenen Willen Folge leisteten. Aber obwohl dieses System alles so wahnsinnig praktisch machte und ihnen die Zusammenarbeit bei den unglaublichsten Projekten ermöglichte, beschwerten sich die allermeisten der Unbehaarten darüber, dass die Welt durch das Geld ungerecht geworden sei, dass sich das ganze Leben nur noch um Geld drehe und dass man trotz der vielen Wünsche, die durch das Geld erfüllt werden konnten, doch von der eigentlichen Erfüllung und einer sinnvollen Existenz abgehalten werde. Mit einem Wort: Sie waren unzufrieden mit ihrem System, sobald sie nur eine Minute Zeit hatten, darüber nachzudenken. Der Grund für ihre Unzufriedenheit wurde ihnen dabei aber nicht klar, obwohl er so einfach zu erkennen gewesen wäre: Er lag nämlich darin, dass sie über den Umweg des Geldes die Frage nach dem richtigen Verhalten vernachlässigt hatten. Geld zu erwirtschaften, Geld einzunehmen wurde in ihrer Gesellschaft schon per se als etwas Gutes angesehen, ohne dass die Frage gestellt wurde, ob das Geld auch durch eine gute Tätigkeit erwirtschaftet wurde. Da man Geld erhielt, wenn man die Wünsche anderer Unbehaarter erfüllte, bekam man natürlich auch Geld dafür, wenn man die schlechten Wünsche schlechter Unbehaarter erfüllte oder Wünsche auf verwerfliche Weise erfüllte. Ein großer Teil des Geldes fand auf diese Weise schließlich seinen Weg zu Unbehaarten, die eigentlich gar nichts Gutes für die Allgemeinheit getan hatten. Die Frage nach der moralischen Wertigkeit, die der Definition einer „Leistung“ eigentlich zugrundeliegt, wurde auf diese Weise vom Begriff des Geldes fast völlig abgetrennt und das Geld wanderte schließlich vom einen zum anderen, ohne dass es noch einen Bezug zur moralischen Wertigkeit der Handelnden gab. Deshalb hatten am Ende alle, die sich eigentlich eine gute Welt wünschten, das Gefühl, dass das Geld dieser guten Welt im Wege stand. Hätten sie stattdessen ausreichend dafür gesorgt, dass man mit schlechtem Handeln kein Geld verdienen kann, dann wäre das Geld ein sehr gutes Instrument gewesen, um durch Koordination die Welt so zu gestalten, wie sie es sich alle erträumten…… Da sie dies aber nicht erkannten, befanden sie sich in einem Zustand kollektiver Depression und Unzufriedenheit und mussten schließlich den Haarigen dabei zusehen, wie diese, ohne Geld und ohne komplizierten Tauschhandel, vor lauter Glück andauernd mit dem Schwanz wedelten. Ja es schien fast so, als lachten die Haarigen die Unbehaarten und ihr ganzes Geldsystem aus, denn nicht selten streckten sie ihnen minutenlang die Zunge heraus…..

Eines der perfektesten Systeme der Unbehaarten, das im Rahmen des Gesamtsystems benutzt wurde, um die Herrschaft der Willkür vor dem Zugriff der Vernunft zu schützen, war das, welches die „Gewissen“ genannte Stimme der Vernunft zum Schweigen brachte. Dieses System funktionierte im Wesentlichen dadurch, daß alle Zusammenhänge als so kompliziert dargestellt wurden, daß es nicht mehr möglich sei, der Vernunft darin Folge zu leisten. Auf diese Weise befreiten sie sich von der lästigen Pflicht, sich über die Verfassung ihrer Welt Gedanken zu machen und sie zu verbessern. So wurde es unter denjenigen, die Geld hatten, allgemein und sehr gerne akzeptiert, daß es angeblich gar keinen Sinn hatte, Geld für weniger Mächtige auszugeben, weil dieses Geld, wenn es ausnahmsweise die weniger Mächtigen überhaupt erreichte, dort nicht zu einer Verbesserung der Situation beitrug. Mit diesem Argument entschuldigte es sich natürlich, sich nicht für die weniger Mächtigen zu engagieren. Sehr effektiv war auch die totale Durchdringung der Psyche des Einzelexemplars mit den Normen der ihn umgebenden Gesellschaft bis hin zur totalen Anpassung und Ausgrenzung von Andersdenkenden. Die mächtigeren Verbünde etablierten bald eine Art Kodex, das sogenannte Erfolgsdenken, das auf den Einzelnen großen Druck ausübte, die Ziele, die er sich steckte, auch zu erreichen, andernfalls er nicht glücklich sein durfte. So konnte es nicht nur sein, sondern war sogar Alltag, ja war die absolute Normalität, daß Exemplare, deren Auskommen völlig gesichert war, die schon zu viel Geld hatten, um überhaupt noch etwas anderes damit zu machen als es zu zählen, weil sie ihre Ziele nicht erreichten, dauerhaft mit größten psychischen Problemen zu kämpfen hatten, obwohl sie zum Glücklichsein eigentlich nur glücklich sein hätten brauchen. Es kam soweit, daß sich ein Mitglied einer solch mächtigen Kongregation eventuell schon unglücklich fühlen mußte, wenn es ein weniger schnelles Vehikel bewegte als ein anderes Mitglied. So hatten alle dort ein unglaubliches Anspruchsdenken an ihre Existenz und hielten das Leben schon nicht mehr für lebenswert, wenn sie kein kleines rotes Vehikel hatten, sondern vielleicht ein mittelgroßes blaues Gefährt, über welche Tragik sie anderen Unbehaarten gegenüber in breiter Manier jammerten. Währenddessen nahmen anderswo auf dem Planeten Unbehaarte, die nicht einmal den Anspruch auf ihre lebenserhaltenden Grundfunktionen erheben konnten, glücklich ihr letztes Mahl zu sich, bevor sie, weil sie kein solches mehr auftreiben konnten, Hungers zugrundegingen. Grund für das alles war die Verfassung ihrer Wirtschaftsordnung, die oft mit einem einzigen Satz zusammengefasst wurde: Nämlich, dass es allen am besten gehe, wenn jeder egoistisch nur nach seinem eigenen Vorteil strebe. Dass dieser Satz schon für sich genommen einen Selbstwiderspruch darstellte fiel den meisten Unbehaarten ebensowenig auf wie die Tatsache, dass er ein Armutszeugnis für ihre ganze Spezies war. Aber vor allem reiche Unbehaarte zitierten den Satz extrem oft und schlossen sich mit großer Inbrunst der angeblich dahinterstehenden Theorie an. Denn er bedeutete umgekehrt, dass jeder, der viel Geld besaß, auch sehr viel geleistet haben musste. Deshalb besaß er das Geld zurecht und brauchte davon nichts abzugeben. Das hörten die reichen Unbehaarten sehr gerne.

Die Unbehaarten konnten, wie bereits ausgeführt, sich selbst nur deshalb für so erhaben und vernünftig halten, weil alles, worauf sie trafen, noch unvernünftiger war, so eben auch die Behaarten. Auch wenn diese sich wirklich redlich Mühe gaben, glücklich zu werden, und, indem sie dieses Ziel öfter erreichten als die Unbehaarten, vielleicht sogar die Vernünftigeren waren, wußten sie dabei doch nie, wer und wo sie waren, geschweige denn warum. Mit einem Ich konnten sie gar nicht aufwarten, sie konnten es allenfalls unsagbar kurze Zeitspannen hindurch denken, so, wenn das Gehirn das Signal empfing, daß das Wesen hungere. Zu einer reflexiven Betrachtung des Ich waren sie erst recht nicht in der Lage und wußten deshalb auch gar nicht, warum sie glücklich waren, sie waren es einfach: Sie begnügten sich damit, allerhand runden und länglichen Gegenständen nachzurennen, die die Unbehaarten ihnen, sich dabei ihrer logischen Überlegenheit voll bewußt und diese genußvoll auslebend, in alle Himmelsrichtungen wegschleuderten. Die Behaarten schienen dabei die ganze Zeit über zu lachen, zumindest war es faszinierend einfach, sie in Zustände von Gutgelauntheit oder Aufregung zu versetzen. Stellten sich zum Beispiel mehrere Unbehaarte um einen Behaarten herum und riefen ihn abwechselnd beim Namen, dann rannte der Behaarte in fast allen Fällen wie ein Wilder von einem zum anderen und stupste jeden mit der Nase. Wurde er dann noch von jedem kurz über den Kopf gestreichelt, dann geriet der Haarige in völlige Ekstase und wusste nicht mehr, wohin er sich zuerst wenden sollte. Allein bei dieser Gelegenheit freute er sich dann mehr als die umstehenden Unbehaarten innerhalb eines ganzen Jahres. So begrüßenswert einfach hatten es also die Behaarten, sich glücklich zu fühlen, und dies taten sie sogar angesichts der Tatsache, daß selbst sie, die weniger Intelligenten, bemerken mußten, daß ihre besten Freunde, die Unbehaarten, im Grunde genommen Schweine waren.

Einer der bemerkenswertesten Unterschiede zwischen den sogenannten Freunden war also der, daß, von einem hypothetischen weiterentwickelten Standpunkt aus, die Behaarten trotz ihrer offensichtlichen Unterlegenheit mit ihrem Verhalten durchaus zufrieden sein konnten, während die Unbehaarten, hätten sie sich selbst von außen betrachtet, ihrem eigenen Verhalten nur mit Unverständnis begegnen hätten können. Um sich dies nicht eingestehen zu müssen, beriefen sich die Unbehaarten, wo immer sie gegen bessere Logik ihrer Willkür Tribut zollten, auf höhere, überlegene Autoritäten. So entweder auf abstrakt formulierte und mit möglichst vielen bedingenden Definitionen versehene, dadurch nicht mehr greifbare Ziele, die später, wenn sie als falsch erkannt wurden, Ideologie genannt wurden. Oder aber, viel einfacher und effektiver, auf eine Religion oder Gott genannte personifizierte höhere Autorität. Hierfür gab es ein eigenes System: Diejenigen Unbehaarten, die sich auf dieses System beriefen und also behaupteten, sie würden in engem Kontakt mit einem Gott stehen und dessen Diener sein, machten den anderen Angst, der Gott könne ihnen etwas Böses antun. Um dies zu verhindern, sollten die anderen gewisse Anordnungen befolgen, die angeblich der Gott gesandt hatte, vor allem aber sollten sie den direkten Befehlen der Diener Gottes Folge leisten und diesen auch sonst in jeder Hinsicht Wohlwollen entgegenbringen. So brachten sie die anderen Unbehaarten unter ihr Joch. Das besonders Subtile an diesem System war, daß die Diener Gottes auf der einen Seite behaupteten, es gebe ganz genaue und präzise Befehle Gottes, die er ihnen aufgetragen habe und die sie bis ins letzte Detail kennen würden; auf der anderen Seite aber, fragte man sie, woher sie diese Befehle denn kennen würden, aussagten, diese Befehle seien der Logik nicht zugänglich, denn die Allmacht des Gottes sei viel zu groß, um sich allen Unbehaarten direkt, logisch und real zu offenbaren….. So lebten sie von der Angst und von der Unmündigkeit der anderen. Zwar wurde in den meisten Religionen davon ausgegangen, dass die Götter besonders gut mit den Unbehaarten umgingen und wünschten, dass diese in Frieden miteinander lebten; am Ende lief es aber doch fast immer darauf hinaus, dass alle sich gegenseitig umbrachten, weil sie es nicht ertragen konnten, dass jemand nicht an den gleichen Gott glaubte wie sie selbst. Denn die meisten Unbehaarten wollten beweisen, wie gütig und fürsorglich ihr Gott war, indem sie jeden, der nicht daran glaubte, abschlachteten. Bemerkenswert war auch, daß den Behaarten, obwohl sie doch die Freunde der Unbehaarten waren, in der göttlichen Ordnung erneut so gut wie gar kein Stellenwert zukam. Im Gegenteil waren sie angeblich eigens dazu geschaffen, den Unbehaarten zu dienen, was es für das Gewissen der Unbehaarten natürlich wesentlich einfacher und angenehmer machte, die Freundschaft mit den Behaarten im Zweifel schnell zu vergessen und den Behaarten jegliche Grausamkeiten zuzumuten, wenn dies für die eigene Willkürsphäre opportun war.

Das konnte indessen nicht wunder nehmen, wenn man sich besah, wie sie die anderen Daseinsformen auf ihrem Planeten behandelten. Nicht nur, daß eine Unmenge an ganzen Spezies aussterben mußte, um den Geldinteressen der Unbehaarten Tribut zu zollen, besonders grausam mußte es anmuten, wie sie selbst diejenigen Wesen, die ihnen zur Nahrung dienten und somit eigentlich auch „Freunde“ genannt werden könnten, ein Leben in Höllenqualen bereiteten. Denn selbst in den Staaten, die sich als „humanistisch“ und „werteorientiert“ bezeichneten und in denen jedes einzelne unbehaarte Individuum umfassende Rechte hatte, um seine Lebensenergien und seine Persönlichkeit angemessen auszuleben, peinigten und quälten sie die Wesen, die ihnen zur Nahrung dienten, mit unglaublicher und sogar systematischer Grausamkeit. Keinerlei moralischer Maßstab wurde hier von den Unbehaarten geduldet, vielmehr wurden die anderen Wesen rein als Faktor in ihrem Geldsystem gesehen. Und während sie selbst sich ein Recht auf Wohnung und sogar etliche Luxusgegenstände in den Verfassungen ihrer Länder zusichern ließen, ließen sie den anderen Wesen noch nicht einmal eine Behandlung angedeihen, die auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Art erfüllt hätte. Kleinere, geflügelte Wesen, die später auf Stangen gespießt auf großen Festen der Unbehaarten gegrillt verkauft wurden, durften ihr ganzes Leben lang sich nicht ein einziges Mal hinsetzen, denn so viel Platz wurde ihnen aus Geldgründen nicht gewährt. Sie hatten in den riesigen Firmen, in denen sie gezüchtet wurden, noch nicht einmal so viel Platz, um sich ein einziges Mal in ihrem Leben umzudrehen, davon, ein paar Schritte gehen zu können, konnte sowieso nicht die Rede sein. Wenn sie Nachwuchs bekamen, dann wurden alle männlichen Exemplare von einem Unbehaarten, der damit sein Geld verdiente, in eine Maschine geworfen, wo sie kleingehexelt wurden, da man sie nicht brauchte. Andere, große Wesen, die zugleich Milch und Fleisch an die Unbehaarten lieferten, durften ebenfalls die riesigen Fabriken, in denen sie gezüchtet wurden, nicht ein einziges Mal verlassen, um auch nur den Himmel über ihrem Planeten zu sehen oder gar auf einer Wiese zu stehen, wie das ihre Art eigentlich immer getan hatte. Besonders schlimm war, daß man ihnen nichts zu trinken gab, damit sie aus Durst einen flüssigen Nahrungsbrei, den sie bekamen, ständig äßen und damit schneller wüchsen. All diese Tatsachen waren in der Öffentlichkeit der Unbehaarten allgemein bekannt, aber so selbstsüchtig und so grausam waren die Unbehaarten, dass sie lieber zuhause auf ein rotes Transportvehikel sparten als die anderen Wesen auch nur einmal im Leben glücklich sein zu lassen.

Aber obwohl dies alles so war, und obwohl späterhin schlicht überhaupt niemand mehr verstehen konnte, warum man dieses System ungeprüft so weiterlaufen ließ, nahmen die Unbehaarten ihrerseits von sich selbst an, sehr entwickelt, kulitiviert und, wie sie es nannten, humanistisch zu sein. Wenn sie sich mit der Vergangenheit ihrer Species beschäftigten, dann erschraken sie heftig über die Grausamkeiten, die passiert waren, und äußerten ihr Entsetzen darüber, daß ihre Vorgänger, die doch Zeugen all dieser Greuel waren, nichts gegen die Furchtbarkeiten in ihrer nächsten Umgebung unternommen hatten – während sie selbst, mit weiterentwickelter Technik und größerer Kommunikation, dem Unrecht ihrer Zeit eher noch näher waren als die verurteilten Vorgänger und ebenfalls untätig zusahen.

Dies also war die Art ihres Zusammenlebens, das, wie gesagt, von den Unbehaarten Freundschaft genannt wurde. Hätte es den Behaarten nicht an Bewußtsein gefehlt, dann wären sie wohl wesentlich härter mit ihren so genannten Freunden ins Gericht gegangen. Aber obwohl sie an Bewußtsein unterlegen waren, hatten sie doch ein größeres Herz als ihre Beherrscher und waren selbst in ihrer Knechtschaft viel glücklicher als ihre Herrchen. Und so sah man an Tagen, an denen die Unbehaarten Zeit für die Behaarten hatten, die Behaarten mit ihren langen, buschigen Schwänzen heftig hin und her wedeln, springen, bellen und mit glücklich lächelnden Mäulern durch die Gegend rennen, zum Beispiel über einen eigens für sie reservierten Strand. Ihre „Besitzer“ dagegen, die Unbehaarten, kauerten, überlegend, wie sie die nächste Steuerrate für ihren Unbehaarten aufbringen sollten, auf Felsen am Rande des Strandes. Dort spielten sie mißmutig mit herumliegenden Kieselsteinen und sinnierten unglücklich über ihre angeblich verkorksten Leben, in denen es ihnen an roten Transportvehikeln mangelte……