Nicht ganz gescheit

by Theos

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Laocoon_and_His_Sons_black.png ## Er fühlte sich großartig! Er genoß die herrliche Nachtluft und die Stille, die ihn ganz mit seinen Gedanken allein ließ……

Aber genau da lag ja auch schon wieder die Schwierigkeit: Das wäre wunderschön gewesen, wenn ein dummer Mensch wie er überhaupt in der Lage wäre, sinnvolle Gedanken zu denken! Doch den Unsinn, den er jetzt denken würde, wenn er seine Zeit weiter allein in dieser lauen Sommernacht zubringen würde, wollte er sich lieber gar nicht erst anhören!

Es war einfach schrecklich: Wann immer er alleine war und die Schönheit des Lebens genießen hätte können oder über irgendwelche Dinge nachdenken, so wie das andere Menschen taten, sorgte seine extreme Dummheit dafür, dass diese schönen Augenblicke zerstört wurden: Denn der unglaubliche Stuß, den er dann in seinen Gedanken zusammenbraute, war eine solche Qual, eine solche toxische Verletzung jeder Vernunft, dass man es schlicht und einfach nicht aushielt! Er regte sich dann selbst regelmäßig so über diesen nervenzerfetzenden Quatsch auf, über diese Blödheit, solche kruden Gedanken überhaupt in dieser überraschenden Weise zueinanderzufügen, dass ihm jeder Genuss an einem Spaziergang oder der schönen Natur verging!

Deshalb durfte er sich aufgrund seiner Dummheit schon gar nicht in Situationen kommen lassen, in denen er sinnieren hätte können. Denn dabei entstand jedesmal ein solcher Schwachsinn, dass die Allgemeinheit fahrlässig gefährdet wurde von den Ideen und Plänen, die er in solchen Augenblicken ausbrütete. Sein Psychologe hatte ihm dies klar gemacht, er hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, dass es im Grunde genommen unverantwortlich war, wenn ein so extrem schwachsinniger Mensch wie er ohne Aufsicht sich irgendwelchen Betrachtungen über die Welt oder das Leben hingab. Ausserdem sei es in deprimierender Weise aussichtslos, dass dabei jemals etwas Sinnvolles herauskäme. Deshalb sei davon abzuraten, dass er Dinge tue wie etwa alleine Spazieren zu gehen. Denn der Unsinn, der dabei von seinem völlig unfähigen Gehirn in die Welt gesetzt werde, sei eine solche Kontamination der intellektuellen Umwelt, dass man mit allen Mitteln dagegen vorgehen müsse.

Aber es war nicht nur das Verhalten seines Psychologen gewesen, das ihn zu der Erkenntnis gebracht hatte, dass er keine Minute lang über etwas anderes nachdenken sollte als nur konkrete Aufgaben und Tätigkeiten seines Alltages oder Berufes. Er hatte es in langen Jahren ja auch selbst bemerkt, dass alles, was sein Hirn jemals bei solchen Spaziergängen oder anderen Gelegenheiten an Gedanken zusammengeschustert hatte, rekordverdächtig dämlich war und im Grunde genommen eine Beleidigung der menschlichen Spezies und ihrer Intelligenz darstellte. Ja, seine Dummheit….. seine Dummheit….. Seine Dummheit war ein Handicap, so groß, so übermächtig, so allumfassend, dass es auch völlig aussichtslos war, dagegen angehen zu wollen: Er war einfach dumm und da konnte man nichts machen! Es hatte keinen Sinn, sich Hoffnungen hinzugeben, dass man daran jemals etwas ändern könnte….. Die Dummheit war als seine auffälligste und am stärksten ausgeprägte Eigenschaft geradezu das Synonym für seine Persönlichkeit und das Markenzeichen seines Charakters.

Das hatte auch Pia, seine Ex-Frau, immer zu ihm gesagt: Sie hatte immer betont, dass er zwar ein lieber Kerl sei, gutmütig, auch adrett und körperlich attraktiv; aber dass seine atemberaubende, nicht fassbare Idiotie der entscheidende Grund sei, warum auf Dauer keine Frau seine Anwesenheit ertragen könne. Es gebe Menschen, die hätten einen unangenehmen Atem und würden das nicht bemerken, andere würden zu laut oder zu viel sprechen und dies immer wieder tun, auch wenn man sie darauf hinwies. Und überhaupt hätten wohl die meisten Menschen Fehler, von denen ihnen nicht klar wäre, wie sehr sie ihr Umfeld störten. Aber das Maß an Belästigung, das seine Dummheit für die Personen darstellte, die gezwungen seien, sich mit ihm abzugeben, könne er gar nicht ermessen. Dies nicht nur, weil er auch dafür viel zu dumm sei, sondern vor allem wegen des schrecklichen Ausmasses dieser Belästigung. Er selbst, der er die Ursache sei, könne gar nicht begreifen, wie gravierend die Folgen für seine Umwelt seien. Und sie hatte natürlich Recht….. – ja Pia hatte immer Recht, sie war einfach klug…..

Er hatte davon gehört, dass es schon bald mit Hilfe der modernen Technik möglich sein würde, Maschinen, Roboter, mit den Gedanken eines Menschen zu steuern. Diese Vorstellung war für ihn ein Alptraum: Auf keinen Fall würde er sich jemals mit einer solchen Maschine verbinden lassen, denn die Folgen wären völlig unabsehbar! Wenn er sich ausmalte, was ein mit seinem Gehirn verbundener Roboter wohl für ein Verhalten an den Tag legen würde, wie er sich vor allen Menschen und Maschinen der Welt blamieren würde und als die dümmste Maschine aller Zeiten in die Geschichtsbücher eingehen würde, dann konnte er es nicht einmal einem unbelebten Roboter zumuten, auf diese Weise mit ihm in eine Schublade gesteckt zu werden. Dieser arme Blechhaufen konnte ja nichts dafür, er musste die Befehle ja ausführen, die an ihn ergingen! Ansonsten, und das konnte leicht passieren, würde bei dieser Gelegenheit der erste Fall weltweit auftreten, in dem sich eine Maschine weigern würde, ihrer Programmierung zu folgen und den Befehlen eines Menschen zu gehorchen. Schrecklich, ein Horrorszenario!

Aber es gab sogar einen Gedanken, der noch schlimmer war: Er hatte gelesen, dass es Wissenschaftler gab, Physiker und teilweise auch Philosophen, die von der Existenz von Paralleluniversen überzeugt waren: Solche Paralleluniversen mit anderen Kausalitäten könnten sich von unserem Universum schon ganz grundsätzlich und insofern auch von den Lebewesen, die sie bevölkerten, unterscheiden; es könnte aber auch sein, dass schlicht jeder vorstellbare alternative Kausalverlauf und damit sogar jede Vorstellung eines Gehirns, jeder denkbare Gedanke, in einem Paralleluniversum real seien! Das würde also heissen, dass er noch einmal existierte in einem Paralleluniversum, und dass dort jeder seiner Gedanken in die Realität umgesetzt wurde! Das war die schrecklichste Vorstellung, die ihn jemals heimgesucht hatte: Wie mochte es dort wohl aussehen? Wie konnte man sich jemals bei den Bewohnern dieses Universums, die so furchtbar von seinen Gedanken in Mitleidenschaft gezogen wurden, entschuldigen? Warum unternahm niemand etwas gegen dieses Paralleluniversum und warum konnte ein guter und gütiger Gott es zulassen, dass ein solches Universum existierte und dass sich darin solch unbeschreibliche Fehlentwicklungen einfach so ereigneten?

Wenn es wenigstens eine psychische Erkrankung gewesen wäre, mit der er sich hätte entschuldigen können: Dann hätte man ihm seine Blödheit verzeihen können, ja müssen, denn er war ja erkrankt und konnte gar nichts dafür! Aber alle Ärzte, die er aufgesucht hatte, hatten ihm bestätigt, dass ihm eigentlich nichts fehle und dass er eben nur haarsträubend dumm sei.

Achja………! Es hätte alles so schön sein können, aber er musste eben so wahnsinnig dumm sein! Extrem unwahrscheinlich, aber offensichtlich möglich und in seinem Falle wahr….. Schade, sehr schade! Deshalb befand er sich auch jetzt wieder in dieser tragischen, aussichtslosen Situation: Draussen war es wunderschön, die Wiesen noch schwer vom Regen des Tages, nun aber ein lauer Abend mit klarer Luft, man roch Lagerfeuer und Grillgut vom nahen Flussufer und die Altstadt lag in einiger Entfernung als herrliche Silhouette vor dem Vollmond. Wie gerne wäre er jetzt hinausgegangen und hätte einen Spaziergang gemacht, oh wie hätte er das genossen, jede Faser seines Körpers sehnte sich danach……! Aber er durfte nicht, er musste sich zusammenreissen und es sich verbieten, denn wenn er diesen Spaziergang unternähme, dann wären die Folgen für die Menschheit unabsehbar aufgrund seiner allesüberragenden Dummheit und des desaströsen Unsinns, den er wieder zusammendenken würde. Das konnte man wirklich niemandem zumuten……. Also schloss er das Fenster und ging ins Bett.